Vorderasiatische Archäologie
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Weststadt

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 Blick von der Zitadelle auf die Weststadt (1998)                      Derselbe Blick im Jahr 2000                                                      am Rande des Euphrattals

Geschichte der Ausgrabung

Die Feldforschungen in der Weststadt von Tall Bazi begannen im Frühjahr 1993 und wurden in jährlichen Kampagnen bis 1998 fortgesetzt. Die Ausgrabungsphase wurde 1999 durch das Entstehen des Stausees jäh beendet. In diesem Jahre wurden letzte Rettungsgrabungen und eine Aufarbeitungskampagne durchgeführt.
Eine Funktionsanalyse der Häuser in der Weststadt wurde von Adelheid Otto im Rahmen ihrer Habilitationsschrift 2004 abgeschlossen. Eine komprimierte Fassung erschien 2006 unter dem Titel „Alltag und Gesellschaft zur Spätbronzezeit: Eine Fallstudie aus Tall Bazi (Syrien)“, Subartu 19. Zahlreiche Artikel und Qualifikationsarbeiten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwuchsen aus der Ausgrabung.

Grabungsverlauf

In den ersten Kampagnen 1993 und 1994 wurden an verschiedenen Stellen Schnitte angelegt, die zum Ziel hatten, die Gesamtstruktur der aus drei Teilen bestehenden Siedlung von Bazi (Zitadelle, Nordstadt, Weststadt) zu erforschen. Bald stellte sich heraus, dass die Weststadt eine einzigartig günstige Gelegenheit zur großflächigen Untersuchung einer Stadtanlage bot. Verschiedentlich zeichneten sich Steingrundrisse bereits an der Oberfläche ab. Schon die ersten Schnitte lieferten die Information, dass es sich um eine Siedlung aus der Späten Bronzezeit handelt, die keine spätere Überbauung aufwies. In kurzer Zeit konnte ein Areal von mehr als 10.000 qm mit über 50 Wohnhäusern samt Inventar ausgegraben werden. Dies ist insbesondere dem enormen Einsatz der bis zu 50 Arbeiter aus dem Dorf Banat zu verdanken. Sie haben jahrelang mit größtem Können und Fleiß mit uns die Ausgrabungen durchgeführt.

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Letzte Arbeiten in der Weststadt 1999 im Angesicht des steigenden Wassers

Struktur und Besonderheiten der Weststadt

Die Weststadt von Tall Bazi stellt eine einschichtige Siedlungserweiterung der bereits lange existierenden Stadt dar. Sie wurde in der Späten Bronzezeit I auf einer Kiesterrasse nordwestlich der Zitadelle geplant angelegt. Sie ist die einzige altorientalische Siedlungsgrabung der jüngsten Zeit, in der auf einer zusammenhängenden Fläche von mehr als einem Hektar etwa 50 Häuser samt Straßen, Gassen und Plätzen ausgegraben wurden, die im Moment der Zerstörung eine funktionierende Einheit bildeten. In den Häusern ist das Inventar weitgehend in situ erhalten, da die Siedlung plötzlich Opfer einer gewaltsamen Zerstörung mit versiegelndem Brandhorizont wurde. Die nur durch flüchtiges Plündern vor dem finalen Brand gestörte Fundlage der Objekte und Funde wie Waffen oder Edelmetallschmuck weisen darauf hin, dass es sich hier um einigermaßen intaktes archäologisches Inventar handelt, und nicht um Abfall bzw. die als wertlos zurückgelassenen Gegenstände bei der langsamen Aufgabe einer Siedlung. In Verbindung mit der Tatsache, dass es sich um eine einschichtige Stadtanlage handelt, bedeutet das, dass wir hier den seltenen Fall vor uns haben, wo wir eine funktionierende Siedlung mit ihren verschiedenen Aspekten in einer Art Momentaufnahme studieren können. Durch die Analyse der Inventare konnten unter Zuhilfenahme der Textquellen dieser Zeit und Region die in den Häusern statt gefundenen Aktivitäten weitgehend rekonstruiert werden und Einblicke in den häuslichen Bereich, die wirtschaftlichen Aktivitäten, die kultischen Vorstellungen und die Sozialstruktur der Bevölkerung gewonnen werden.

Datierung der Weststadt

Die Weststadt hat nicht lange existiert. Sie wurde in relativ kurzer Zeit angelegt. Manche, aber nicht alle Häuser weisen zwei Phasen der Benutzung auf, die sich durch Um- und Anbauten bzw. Teilung von Häusern manifestiert. Daher nehmen wir eine maximale Dauer von 60-100 Jahre an. Die relative Chronologie der Weststadt ist relativ einfach, nicht dagegen die absolute. Dies gilt momentan aber für die gesamte absolute Chronologie der Spätbronzezeit im 15.-13. Jh. v. Christus. Die Hauptursache liegt in einem ungünstigen Plateau der C14-Messungen in dieser Zeit. Dies verursacht, dass die C14-Datierungen von Material aus diesem Zeitraum um 200 Jahre schwanken können. Wir haben dies erst bemerkt, als unterschiedliche Labors zu völlig verschiedenen Ergebnissen des gleichen Materials aus Bazi kamen. Die ersten Analysen besagten, dass der Brandhorizont, der die gesamte Siedlung versiegelt, um 1200 datiert. Daher haben wir bis 2001 angenommen, dass die Siedlung am Ende der Spätbronzezeit zugrunde ging. Spätere Messungen ergaben ein nicht ganz konsistentes Bild, jedoch stimmen Messung von drei Labors darin überein, dass der Brandhorizont zwischen 1400 und 1340 datiert.

Ausführlich zum Problem der Datierungen von Tall Bazi und den anderen spätbronzezeitlichen Siedlungen im Euphrattal s. Otto 2014, 93-95.

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Schematischer Plan der Weststadt

Stadtstruktur und -planung

Die Weststadt stellt eine Siedlungserweiterung des 14. Jhs. dar, die neben der schon früher besiedelten Nordstadt und der stark befestigten Zitadelle von Tall Bazi angelegt wurde. Sie wurde als Neugründung auf dem bislang unbebauten westlichen Vorfeld angelegt, auf einer leicht nach Süden abfallenden Kiesterrasse, die sich mehrere Meter über das Niveau der Euphrat-Talaue erhob und dadurch ausreichenden Hochwasserschutz bot. Dem Bauvorhaben ging eine genaue Planung und Parzellierung voraus, die sich aufgrund des Grabungsbefundes nachvollziehen lässt. Darüberhinaus kann durch die Beobachtungen in der Grabung die Bauentwicklung, d.h. die relative Abfolge der Bebauung, in zahlreichen Fällen rekonstruiert werden. Dagegen blieb der Aspekt der Defensive gänzlich unbeachtet: die Weststadt war nicht befestigt und es war offensichtlich auch nicht vorgesehen sie zu befestigen.

Unter Hinzunahme der magnetischen Prospektion, die 1998 in der bis dahin nicht ausgegrabenen Fläche durchgeführt wurde, darf die Weststadt von Tall Bazi als vollständig untersucht gelten. Eine Gesamtzahl von etwa 70 Häusern muss hier im Moment der Zerstörung bestanden haben. Die Wohnhäuser erstreckten sich aber noch weiter in das Gebiet von Tall Banat hinein. Dort wurden von Tom McClellan und Ann Porter diverse sehr ähnliche Wohnhäuser ausgegraben (McClellan 1991). Zwischen 2000 und 2010 dokumentierten wir zudem zahlreiche weitere Häuser des gleichen Schemas, die immer wieder vom See freigespült wurden, kurz sichtbar waren, wenn einmal wöchentlich der Wasserspiegel fiel, und dann wieder verschwanden. Es muss ehedem weit über 100 Häuser in der spätbronzezeitlichen Unterstadt gegeben haben.

Gesamtansicht 02  Gesamtansicht 033D-Rekonstruktion der Weststadt und der Zitadelle aus der Vogelperspektive und vom Euphrattal aus (erstellt von: Dr. Valentina Hinz und Dipl.-Ing. Stefan Franz G, München; www.hinzundfranz.de)

Die Siedlungsplanung sah eine ringförmige innere Erschließung durch öffentliche Hauptstraßen vor: Die eine folgt von Osten nach Westen dem Kontur des Bauareals und biegt bogenförmig nach Süden um, die andere schneidet schräg das Gelände von Südwesten nach Nordosten. Im Westen treffen beide Hauptstraßen aufeinander. Im Osten ist es sehr wahrscheinlich, der Befund ist jedoch an dieser Stelle erodiert. Die Hauptstraßen sind mit 5-7 m sehr breit.

Von den Hauptstraßen zweigen kleinere Straßen und Gassen ab sowie Sackgassen, die nur zu einzelnen Hauseingängen führen. Im nordöstlichen Bereich (z. B. zwischen Haus 1 und 5 und zwischen Haus 1 und 2) sind die Häuser voneinander durch private, verschließbare Gassen getrennt. Die Gasse zwischen Haus 6 und 7 war mit Steinplatten gepflastert und mit einer seitlichen Wasserrinne versehen. Die Straßen waren für gewöhnlich nicht eigens befestigt; über dem Kieskonglomerat des Baugeländes bildeten Asche, Keramik-Scherben und sonstiges Abfallmaterial den Belag, der sich im Laufe der Zeit so erhöhte, dass oft Stufen in die Häuser hinabführten. Hauseingänge und Gassen wurden durch unregelmäßige Steinsetzungen gegen eindringendes Oberflächenwasser geschützt.

Der zentrale Platz von Bazi

In starkem Kontrast zur dichten Bebauung der Häuserviertel steht die unbebaute Platzanlage in der Mitte der Siedlung. Es handelt sich um eine Freifläche, die von der üblichen Bebauung ausgeklammert blieb. Offenbar erst nach geraumer Zeit wurde das nach Norden hin leicht abschüssige Gelände baulich gestaltet, indem 3 flache Terrassierungsstufen eingebaut wurden. Daran anschließend erfolgte am Rand eine unregelmäßige Anlage kleiner Einheiten und Mauerzüge. Befunde und Funde lassen trotz starker Erosion dieses Bereiches eine Deutung dieses Platzes als zentralen "Marktplatz" zu, der zunächst als leicht abschüssige Freifläche bestand und in einer zweiten Phase nivelliert und mit festen Vorrichtungen versehen wurde. Damit haben wir einen der seltenen archäologischen Belege für die in den Texten häufig genannten, jedoch sehr umstrittenen altorientalischen Märkte. Für eine Interpretation dieser zentralen Freifläche als Marktplatz sprechen auch die in den Häusern ringsum ausgeübten Handwerke und diverse Gewichtssteine.

 

drachenphoto  06Drachenphoto des zentralen Bereichs der Weststadt       Ansicht eines typischen Bazi-Hauses (Haus 29)                                           (N ist rechts!)

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Ansicht des größten Bazi-Hauses (Haus 43),                        Ansicht von Haus 46, rechts daneben ein                                    in der zweiten Phase geteilt                                                         Brotbackofen

Das typische „Bazi-Haus“: Grundriss und Bauweise

Der Grundriss der Häuser zeichnet sich durch eine extrem starke Uniformität aus. Das typische „Bazi-Haus“ besteht aus einem langrechteckigen Hauptraum und einer flankierenden Raumreihe entlang einer Langseite mit annähernd quadratischen Nebenräumen. Die Nebenräume sind in der Regel vom Hauptraum aus zugänglich. Gewöhnlich sind es 4 Nebenräume, es gibt aber auch Häuser mit nur 3 oder maximal 5-6 Nebenräumen. Abweichungen von diesem Grundrissschema kommen nur in wenigen Ausnahmefällen vor. Diese sind manchmal durch die Topographie bedingt, wenn das Gelände des Bauplatzes aus Platzmangel keine Standardform zuließ, wie z.B. bei Haus 4 oder 15, die am Rande der Kiesterrasse liegen. Alle Gebäude, die ohne topographischen Zwang deutlich vom Schema abweichen, scheinen jedoch eine andere als häusliche Funktion gehabt zu haben.
Das „Bazi-Standard-Haus“ mit Hauptraum und meistens 4 Nebenräumen ist im Durchschnitt ca. 15 m lang und 10 m breit: Die Größen schwanken zwischen 65 und 215 qm überdachter Grundfläche, wobei über die Hälfte zwischen 130 und 160 qm liegt. Der Zugang kann direkt in den Hauptraum erfolgen oder aber über einen der Nebenräume. In einigen Fällen können Erweiterungen auftreten, indem an der Stirnseite ein Raum angefügt ist. Ferner wurden mehrere Häuser in der zweiten Phase zweigeteilt, was teilweise auf Erbteilung oder Verkäufe zurückzuführen sein dürfte.

Der Hauptraum war stets komplett überdacht, wie verkohlte Dachbalken belegen. Er wies stets dieselben Installationen auf (Herd und Ofen, Tannur, Bank, Tisch an der Stirnseite) und wurde häuslich, ökonomisch und kultisch genutzt. Im Hauptraum befand sich meist auch eine Treppe, die auf das genutzte Dach über dem Hauptraum führte. Über den Nebenräumen existierte ein zweites Geschoß.

Die Mauern der Häuser sitzen ohne Fundamentierung unmittelbar auf der Kiesterrasse auf. Sie bestehen im unteren Teil (ca. 0,5-1 m) aus unbehauenen Kalksteinbrocken, auf die sich das aufgehende Lehmziegelmauerwerk legt. Die Größe der Steine nimmt von unten nach oben kontinuierlich ab; direkt unter den Lehmziegeln befindet sich eine Ausgleichsschicht aus feinen Steinbrocken. Die Breite der Mauern beträgt normalerweise 65-70 cm, was 1,5 Lehmziegeln mit Mörtelfugen entspricht (Lehmziegelgröße ca. 40 cm x 40 cm x 12 cm).

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Inventar im Südteil von Haus 41

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Diverse Steingeräte, Gefäße und eine Gussform in einem Nebenraum von Haus 20, dem "Haus des Metallhandwerkers"

Ausstattung der Häuser

Die Häuser der Weststadt sind von bemerkenswerter Einheitlichkeit, nicht nur was den Grundriss, sondern auch was ihre Ausstattung betrifft. Sie sind durch die finale Brandkatastrophe mit einem Großteil des Inventars erhalten geblieben. Das Inventar belegt, dass es sich in vielen Fällen nicht um reine Wohnhäuser handelte, sondern gleichzeitig um Arbeitsstätten, in denen jeweils verschiedene Handwerke ausgeübt wurden. Zahlreiche Installationen (Öfen, Arbeitsflächen, -bänke etc.) sind das Resultat einer jeweils spezifischen Nutzung. Das reichhaltige Fundmaterial in den Häusern lässt auf die Art der jeweilig ausgeübten Handwerke (Metallverarbeitung, Stein- und Holzbearbeitung, Schmuck- und Gewichtefabrikation u.a.) schließen. Darüberhinaus geben Werkzeuge und Geräte (Gussformen, Model etc.), zahlreiche Halb- und Fertigprodukte sowie Rohstoffvorräte auch einen Einblick in Produktionsweisen und einzelne Fertigungsabläufe.

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Inventar der Häuser: Gussformen für Waffen und Geräte sowie für Schmuck aus dem "Haus des Metallhandwerkers"

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Hortfund von Bronzegeräten, in Bazi produziert und zum Export bereitgestellt auf der Freifläche von Gebäude 39

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Blick auf das zerscherbte Inventar von Haus 47, Nebenraum d

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Dasselbe keramische Inventar, provisorisch geklebt

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Rollsiegel des mittanischen Common Style aus Haus 43

Das Ende der Weststadt

Alle Häuser, die im Moment der finalen Katastrophe noch bewohnt waren, weisen massive Spuren eines Brandes auf: verkohlte Balken, Samen und Früchte und anderes organisches Material zeugen ebenso davon wie angeschmauchte Wände oder rot und sogar gelb verbrannte und an der Außenseite fast vitrifizierte Lehmziegel. Das Ende muss relativ plötzlich über die Weststadt hereingebrochen sein. In ihrer überhasteten Flucht ließen die Bewohner auch einige Wertgegenstände zurück: Waffen, Siegel, Gegenstände aus Silber und Gold. Bevor jedoch die Siedlung angezündet wurde, fiel sie einer schnellen Plünderung zum Opfer, die an vielen in situ-Befunden abzulesen ist. Wohin die Bewohner verschwanden, ist ein Rätsel. Jedenfalls wurden keine menschliche Überreste gefunden.

Literatur speziell zur Weststadt

B. Einwag - A. Otto, Tall Bazi - Vorbericht über die Untersuchungen 1994 und 1995, DaM 9, 1996, 15-45.
B. Einwag - A. Otto, Tall Bazi 1998 und 1999 - Die letzten Untersuchungen in der Weststadt, DaM 13, 2001, 65-88.
A. Otto, A. Otto, Alltag und Gesellschaft zur Spätbronzezeit: Eine Fallstudie aus Tall Bazi (Syrien), Subartu 19, Turnhout 2006.
A. Otto, The Late Bronze Age Pottery of the Weststadt of Tall Bazi (North Syria), in: M. Luciani, A. Hausleitner (Eds.), Recent Trends in the Study of Late Bronze Age Ceramics in Syro-Mesopotamia and Neighbouring Regions. Proceedings of the International Workshop in Berlin, 2 – 5 November 2006, OrA 32, Rahden/Westf. 2014, 85-117.