Vorderasiatische Archäologie
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UR

Ausgrabungen und Forschungen 2017, 2019 und 2022

gefördert durch die Gerda-Henkel-Stiftung und die Münchener Universitätsgesellschaft

 

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Projektbeschreibung

Ein Team der LMU hat in zwei Kampagnen 2017 und 2019 Ausgrabungen und geophysikalische Untersuchungen in Ur durchgeführt. Die von Frau Prof. Adelheid Otto geleiteten Untersuchungen sind Teil eines größeren Projektes, das von Frau Prof. Elizabeth Stone (Stony Brook University, NY) und Dr. A. Hamdani in Ur seit 2015 geleitet wird.
Das LMU-Team untersuchte den Südhügel von Ur großflächig mittels geophysikalischer Prospektion und punktuell durch Ausgrabungen an einer Stelle nahe dem südlichen Stadtrand. Dadurch kann jetzt zum einen die gesamte Stadtstruktur besser verstanden werden, zum anderen wurde ein Haus der altbabylonischen Zeit minutiös ausgegraben, sodass es als Modell eines Hauses gelten darf und zum besseren Verständnis der von L. Woolley 1926-1931 ausgegrabenen Wohnhäuser und der darin gefundenen Reste des täglichen Lebens dienen kann.

Lage und Stratigraphie von Areal 5

Areal 5 liegt am südlichen Rand des Hügels nahe der Stadtmauer (Foto1). Das Ziel der Untersuchung war herauszufinden, ob die altbabylonischen Haushalte an der Peripherie sich sozial oder ökonomisch von denen im Stadtzentrum (AH, EM, EH) unterschieden.

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Die zwei oberen Schichten bestehen aus vielen eingetieften spätbabylonischen oder perserzeitlichen Gräbern und einem großrn neubabylonischen Gebäude, von dem aufgrund der Erosion aber nur geringe Reste erhalten sind.

Einige Mauern und Gruben der kassitischen Schicht sind erhalten (Foto 2); diese bestanden vollständig aus wiederverwendeten gebrannten Ziegeln, die aus den altbabylonischen Mauern herausgebrochen wurden und zu deren Zerstörung nicht unwesentlich beitrugen.

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Das Haus des Sîn-nada

Das bedeutendste ausgegrabene Bauwerk ist ein großes altbabylonisches Haus, das 2017 und 2019 untersucht wurde. Es besteht aus 16 Räumen und einem Hof, wurde in der Isin-Larsa-Zeit erbaut, wohl um 1850, und weist drei Nutzungsphasen auf (Foto 3). In der ersten Phase war es bewohnt von einem gewissen Sîn-nada, der Shabra des Ningal-Tempels war. Zahlreiche Keilschrifttexte, Urkunden, Briefe, literarische und Schul-Texte, sowie gesiegelte Etiketten wurden in verschiedenen Räumen sowie weggeworfen auf einem Abfallhaufen gefunden (Foto 7, 8). Sie belegen, daß nicht nur er sondern auch seine Frau Nuṭṭuptum in verschiedene Tempelangelegenheiten involviert war. Sogar ein Brief, den er an seine Frau geschrieben hatte, als er außerhäußig war, wurde gefunden (Foto 4).

Die Abrollungen von Sîn-nadas zwei Siegeln geben uns eine genaue Datierung dieser Phase, die in die Regierungszeit der Larsa-Könige Sîn-eribam und Silli-Adad (1842-1835 v. Chr) gehört (Foto 5). Sîn-nada nennt sich Diener des jeweiligen Königs, und ein Terrakotta-Relief mit dem Abbild eines sitzenden Königs wurde ebenfalls im Haus aufbewahrt.

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Das Haus war verschwenderisch ausgestatten mit Baderäumen, einem großen Aufenthaltsraum sowie Bereichen zum Empfang und für Opferhandlungen. Mehrere Schülertafeln lagen aufgereiht in einem Raum (Foto6), weitere Tontafeln und gesiegelte Etiketten lagen weggeworfen in einem benachbarten Raum, zusammen mit anderem Abfall (Foto 7, Foto 8).

Die Küche verfügte über zwei Öfen und ausgefeilte Abwasserinstallationen, die vermutlich in Beziehung zur Nahrungsmittelzubereitung stand (Foto 9). Eine Treppe führte nach oben. Das Familiengrab in Form einer Gruft mit Kraggewölbe befand sich außerhalb des Hauses. In ihm waren die Knochen von 24 Individuen aufbewahrt (Foto 10). Weitere Gräber bestehen aus Terrakottasarkophagen, Topfbestattungen und einfachen Bestattungen, bei denen der Tote mit halbierten Gefäßen abgedeckt wurde (Fotos 11, 12, 13).

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Die anthropologische Analyse der Skelettreste ergab ziemlich gesunde Individuen mit nur wenigen Krankheiten oder morphologischen Symptomen von Mangelernährung und nur geringer physischer Arbeitsbelastung. Die Analyse der antiken Ernährung inclusive einer Auswertung der Tierknochen und botanischen Proben aus der Flotation ist zur Zeit in Arbeit.

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Das Haus wurde in der zweiten Phase stark verändert und alle Fußböden wurden deutlich höhergelegt. Eine Reihe von sechs Räumen entlang der Straße wurde vom restlichen Haus abgetrennt. Ein Raum wurde mit einem großen überwölbten Backofen ausgestattet (Foto 14), eine Sattelmühle aus Basalt wurde im Nachbarraum eingebaut (Foto 15).  Einige Tontafeln aus dieser Schicht deuten auf ein Datum unter Rim-Sîn von Larsa hin.
Die dritte und letzte Phase hat sich aufgrund der starken Erosion am Hang nur in den nordöstlichen Räumen erhalten. Sie fand vermutlich ihr Ende mit dem allgemeinen Niedergang von Ur während der Regierungszeit Samsu-ilunas.
Zusammenfassend lässt sich bemerken, daß Sîn-nadas Familie zur Elite von Ur gehörte, sodass zumindest in diesem Fall belegt ist, dass die Wohngegend von Areal 5 trotz oder wegen seiner Lage am Stadtrand von wohlhabenden Leuten bewohnt wurde.

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Die Ur III-zeitliche Schicht

Das Isin-Larsa Haus war unmittelbar auf eine Ur III-zeitliche Schicht gebaut. Letztere bestand aus einem offenen Hof, der flankiert wurde von einigen langen, schmalen Räumen, die vermutlich als Speicherräume dienten. Es ist anzunehmen, dass hier ein offener Platz bestand, an dem Güter angeliefert wurden, die vom nahegelegenen südlichen Stadttor angeliefert und hier gelagert oder verteilt wurden (Foto 16).

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Geophysik

Prof. Jörg Fassbinder, Marion Scheiblecker, Sandra Ostner (LMU) führten geophysikalische Untersuchungen 2017 und 2019 mit drei handheld total field Caesium Magnetometern und einem handheld Foerster Ferex Gradiometer durch. Zusätzlich und ergänzend wurden über 20 ERT (electrical resistivity tomography) Profile an drei ausgewählten Stellen gemessen (Mandana Parsi, LMU), um weitere Informationen über den Hafen und die Bauweise der Häuser und der Stadtmauer zu erhalten.
Obwohl die tiefen Wadis, die den Hügel durchziehen, die Arbeit nicht unwesentlich erschwerten, wurde der komplette Südhügel von Ur und Teile des Nordhügels gemessen, inclusive des Bereiches des Westhafens. Am letzten Tag wurde sogar der Osthügel, der von E. Hammer gesurveyt wurde, gemessen.
Die geophysikalischen Messungen lassen zahlreiche archäologische Strukturen im gesamten Gebiet erkennen. Die Gebäude der altbabylonischen und neubabylonischen Zeit können recht gut unterschieden werden, da entweder gebrannte Ziegel oder Lehmziegel verwendet wurdenen. Zahlreiche Wohnbereiche, große Gebäude, Straßen, Kanäle, die Stadtmauer, Öfen, Gräber und andere Strukturen können im Stadtbild durch die Magnetometersprospektion unterschieden werden (Fotos 17-19).

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Das Team

  • Archäologie: Prof. Adelheid Otto, Dr. Berthold Einwag, Dr. Albert Dietz, sowie Pierre Borsdorf (2019), Jasmin Braun (2019), Dennis Busch (2017), Dr. Martin Gruber (2017, 2019), Johannes Hechtl (2022), Dr. Michael Herles (2017, 2019), Dr. Kai Kaniuth, Manfred Lerchl (2019), Dr. Elisa Roßberger (2017, 2019), Laurin Stöckert (2019)
  • Anthropologie: Dr. Andrea Göhring, LMU (2017, 2019)
  • Keilschrift-Philologie: Prof. Dominique Charpin, Collège de France, Paris (2017, 2019, 2022), PD Dr. Anne Löhnert, LMU (2017), Prof. Walther Sallaberger, LMU (2019)
  • Geophysik: Prof. Jörg Faßbinder (2019), Marion Scheiblecker (2017, 2019), Sandra Ostner und Mandana Parsi (2019) (alle LMU)
  • Botanik und Zoologie: Katheryn C. Twiss PhD (Stony Brook, NY); Michael Charles PhD (Oxford Univ. GB), Melina Seabrook (Harvard)

Dank

Unser Dank gilt seiner Exzellenz dem Kultusminister Dr. Abd-el Amir Hamdani, dem Generaldirektor der irakischen Antikenverwaltung SBAH Qais Rasheed, und den Repräsentanten des Antikenservice Nasriyah. Wir danken den Arbeitern aus Nasriyah für ihre hervorragende Mitarbeit.
Ferner danken wir herzlich Prof. Elizabeth Stone und Prof. Paul Zimansky (Stony Brook University), die uns großzügigerweise die Mitarbeit an ihrem Projekt gestatteten. Ferner danken wir William B. Hafford, Ph.D. für die gute Zusammenarbeit.
Gefördert wurden die Ausgrabungen durch die Gerda-Henkel-Stiftung und die Münchener Universitätsgesellschaft.

Weitere Informationen

Frühjahrskampagne 2017

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Archäologie
Schätze unter dem Staub
27.03.2018

Frühjahrskampagne 2019

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Ausgrabungen in Ur
Was eine babylonische Villa über den Alten Orient verrät
16 .07. 2019

UR video auf Youtube (https://www.youtube.com/watch?v=ztxxsyZ8a0M)

12 zimmer-küche-gruft

 Artikel

  • Stone E. C. & P. Zimansky, 2016: “Archaeology Returns to Ur. A New Dialog with Old Houses”, Near Eastern Archaeology 79.4, p. 246-259.
  • A. Otto, Official Seal Motifs at Larsa and Ur in the 19th Century BC, in: G. Chambon, M. Guichard, A.-I. Langlois, T. Römer et N. Ziegler (ed.), De l’argile au númerique: Mélanges assyriologiques en l’honneur de Dominique Charpin, PIPOAC 3 (2019) 763-776.
  • D. Charpin, Priests of Ur in the Old Babylonian Period: a Reappraisal in Light of the 2017 Discoveries at Ur/Tell Muqayyar, Journal of Ancient Near Eastern Religions 19, 2019, 18-34.
  • E. Stone, A. Otto, D. Charpin, B. Einwag, P. Zimansky, Two Great Households of Old Babylonian Ur. Near Eastern Archaeology 84.3 (2021), 182–191.
  • A. Otto, Excavations at Ur (2017 and 2019), in A. Otto und K. Kaniuth (ed.), 50 Jahre Vorderasiatische Archäologie in München. MAAO 7 (2022) 350–357.
  • A. Otto, A New Archaeological Response to an Old Question: When and how did Ur Recover in the Old Babylonian Period? in N. Marchetti et al. (ed.,) Proceedings of the 12th International Congress on the Archaeology of the Ancient Near East, Wiesbaden 2023, 5–18.

Workshops

Vorträge

  • 01/2020 - Wie lebte es sich in Babylonien vor 3900 Jahren? Erkenntnisse aus den neuen Ausgrabungen in Ur (Südirak), Eberhard Karls Universität Tübingen, IANES, 30.1.2020
  • 12/2019 - Wie lebte man vor 3900 Jahren in Mesopotamien? Neue Ausgrabungen im Haus des Tempelintendanten in Ur (Irak), Archäologische Ringvorlesung, Georg-August-Universität Göttingen, 16.12.2019
  • 05/2019 - Leben in einer Metropole um 2000 vor Christus: Neue Ausgrabungen in Ur, Universität Würzburg, 6. Mai 2019
  • 09/2018 - New Research in Southern Mesopotamian Cities, Part 1: The Survey around Tell Fāra / Šuruppak, Part 2: Excavations at the South Mound of Ur, Yale University, New Haven, September 14, 2018
  • 09/2018 - New Research in Southern Mesopotamian Cities, Part 2: Excavations at the South Mound of Ur : First results of the LMU team, Johns Hopkins University Baltimore, September 5, 2018
  • 07/2018 - Excavations at the South Mound of Ur : First results of the LMU team (project E. Stone), RAI Innsbruck, July 20, 2018
  • 04/2018 - The LMU Munich excavations 2017 at the South Mound of Ur, 11th ICAANE, Munich
  • 05/2018 - The 2017 season of the LMU Munich team, EcritUr. Première Table Ronde
    Paris, Fondation Hugot du Collège de France, 17 mai 2018
  • 12/2017 - Die Münchener Ausgrabungen in Ur, Frühjahr 2017, Altorientalisches Kolloquium, 12.12.2017, Adelheid Otto, M. Scheiblecker, P. Paoletti, M. Gruber, A. Löhnert, E. Roßberger, A. Dietz, B. Einwag, A. Göhring, M. Herles, K. Kaniuth

Forschungen zu UR

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